Das Thema/ To téma: Kafka has left the building

Amtliche Bezeichnung: Kafka 24/7
Interaktives deutsch-tschechisches Kabarett
16.12.2024 im Abraxas Augsburg

„Würden Sie das bitte anzünden?“ – „Nein.“ Natürlich werden in Augsburg keine literarischen Werke vernichtet, selbst wenn der Autor selbst das verfügt hatte. Die entsprechenden Streichhölzer der Marke Kafka konnte man trotzdem am Schluss erwerben. Genauso wie Käfer, Äpfel, Tassen, Taschen und sogar Unterhosen.

Das renommierte (und grundsympathische!) deutsch-tschechische Kabarett Thema/ To téma besuchte uns nach Aufführungen in München, Prag, Berlin, Olomouc, Pilsen, Bremen und Chemnitz mit seinem Stück anlässlich des 100. Todestages von Franz Kafka nun auch in Augsburg! Die Aufführungen des Ensembles, das 2018 in Prag gegründet wurde, sind temporeich, interaktiv und hemmungslos humorvoll.

„Kafka has left the building“ – er ist weg und sein Prag gibt es auch nicht mehr. Im Gegensatz zu zahllosen Selbstdarsteller*Innen der Literaturgeschichte würde Franz Kafka im Grabe rotieren angesichts der Kommerzialisierung seiner geheimnisvollen Welt, wie sie hundert Jahre nach seinem Tod stattfindet. Von einem deutschsprachigen Autor unter vielen wurde er in den letzten dreißig Jahren zum bedeutenden Tourismusmarketingfaktor in Prag.

Aber wer war Kafka eigentlich und wie ähnlich sind wir ihm? Beim „Plagiator“-Wettbewerb war das Publikum zum Mitmachen aufgefordert: „Wer von ihnen war zwei Mal mit derselben Person verlobt und hat es trotzdem nicht zum Altar geschafft?“ Wohl eine einzigartige Lebenslinie. „Wer hat öfter Kopfschmerzen?“, „Wer schwimmt gerne?“, „Wer geht gerne ins Bordell?“ Wie viele Hände auf diese Frage gehoben wurden, wird hier nicht gesagt, aber das Publikum im Abraxas bekam wohl schnell das Gefühl, dass es sich öffnen kann. Kafkas detaillierte und bittere Kritik an der Doppelmoral seines Vaters ist wohl ein Fragment für die Ewigkeit, mit dem sich viele identifizieren können. Der Moment, in dem Markéta Richterová und Halka Jeřabek Třesňáková die Zuschauer*Innen aufforderten, einen Brief an ihren Vater zu verfassen (Papier und Umschläge waren selbstredend im Shop), war wohl der, in dem sie ihr Publikum vollständig auf ihrer und Kafkas Seite hatten.

Wird im deutschen Sprachgebrauch eine Situation als „kafkaesk“ bezeichnet, ist damit ein Zustand gemeint, der befremdet und letztlich überfordert. Das Portrait des sensiblen Schriftstellers auf einer Duftkerze oder einer Kaffeetasse ist völlig absurd, aber das Marketing will es so. Das doppelbödige Stück ist eine Persiflage auf den Ausverkauf der Kultur. Konsequenterweise ist der Bühnenaufbau einem Souvenirshop nachempfunden. In einem Guckloch werden Schlaglichter auf das komplexe Leben und frühe Sterben Kafkas geworfen – und vorne mit Äpfeln nach Käfern oder Personen, die sich als solche identifizieren. So viel Grundwissen zur „Verwandlung“ muss sein, ansonsten wird das deutsch-tschechische Stück entweder übersetzt oder mit Untertiteln versehen. Wie wenig übrigens Kafka zum Kalenderblattorakel taugt führen Roman Horák und Phillip Schenker in einem „Fragen an Kafka“-Spiel vor. „Kafka hat die Antwort auf alles!“ Nicht.

Und am Schluss gibt‘s den großen Ausverkauf. Wer will jetzt eine Tasse?

Spiel: Roman Horák, Markéta Richterová, Philipp Schenker, Halka Jeřabek Třesňáková

Dramaturgie, Bühne und Kostüme: Karolina Kotrobová

Produktion: Dranc z. s. Roman Horák, Philipp Schenker

In Zusammenarbeit mit dem Adalbert- Stifter- Verein, gefördert durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, die Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Kultur und Medien, Hauptstadt Prag, Richard Stury Stiftung, Brougier-Seisser-Cleve-Werhahn-Stiftung, Schweizerische Botschaft in der Tschechischen Republik

Yvonne Schlosser17. Dezember 2024